Wolfgang Melzer

(Rednerladen)

Wolfgang D. Melzer


Holms Herbst

Roman


Verlag Gunter Oettel Görlitz - Zittau 2019

212 Seiten, Klappenbroschur

16,50 Euro


ISBN 978-3-944560-62-5




Roman über das Erinnern und das Vergessen,
über die Furcht vor dem Irrtum und den Traum von der Unsterblichkeit

Roland Holm, seit einiger Zeit im Ruhestand, ist sich nicht mehr sicher, was sein Leben ausmacht. Die politische Wende in Ostdeutschland zerschnitt seinen Lebensfaden, der seitdem aus zwei gleich langen Enden besteht, die sich gegenseitig in Frage stellen. Soll er die Erinnerungen an seine jungen Jahre für ungültig erklären oder den letzten Jahrzehnten misstrauen? Die Frage treibt ihn um und er tut sich schwer, aus den unvereinbaren Fäden eine stimmige Biografie zu weben.
Zumal da noch der Wunsch ist, es möge etwas bleiben von seinem Leben.


Leseprobe

1

Verfassen wir also einen Roman. Ich, der Autor, meinen. Und du, verehrte Leserin, verehrter Leser, deinen. Denn Lesen ist so gut Erfinden wie Schreiben.
    Suchen wir uns einen mittelmäßigen Helden und pimpen wir seine Geschichte auf. Indem wir sie erzählen. Was ja wohl heißt, wir halten sie für bedeutend genug, viele Worte zu rechtfertigen. Reichern wir sie mit Ereignissen an, die sich seinerzeit auf der großen Bühne abspielten, und lassen diese auf unseren Hauptakteur strahlen. Möchten wir doch alle ein bisschen bedeutend sein und bei ihm ist das nicht anders. Für die meisten bleibt es bei der Sehnsucht, denn mit größter Wahrscheinlichkeit sind du und ich, bei Gauß, ebenso unbedeutend für den Weltenlauf, wie der Held unserer Erzählung.
    Erzählen wir also die Geschichte von Roland Holm.

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Über den Azoren schwächte sich das Hoch Quirin allmählich ab, das zwei Tage lang für Sonnenschein über Europa gesorgt hatte. Im amerikanischen Heimatschutzministerium diskutierte eine Expertengruppe Online-Strategien gegen den islamistischen Terror. Die deutsche Bundeskanzlerin verließ ihr Büro eine halbe Stunde früher als gewöhnlich. Im fernen Osten legte sich lehmig gelber Dunst über Peking, um es der Morgensonne schwer zu machen, auf die Erde durchzudringen; Millionen Chinesen würden mit Atemschutz im Gesicht an ihre Arbeitsplätze hetzen müssen. Über Mitteldeutschland dämmerte der Abend. Roland Holm lenkte sein Auto zwischen Einfamilienhäusern und Vorgärten hindurch einen Berg hinauf. Ihm voraus fuhr, gleichsam tastend, ein weißer Ford. Der Fahrer schien sich so wenig auszukennen wie Holm, hatte aber vermutlich dasselbe Ziel.
    Vor einer Rechtskurve stoppte Holm, angelte einen Pfefferminz aus der Jackentasche und wartete, bis der Ford abgebogen war. Sein Atem ging eng. Warum, zum Kuckuck, war er so angespannt?! Atme!, befahl er sich. Konzentriert atmete er durch die Nase ein, öffnete den Mund und entließ die Luft mit leisem Strömen wieder aus der Lunge. Schließlich legte er den Gang wieder ein und löste die Handbremse. Wachsam nahm er die Biegung, hinter der der Ford verschwunden war. ...